„Woyzeck zweipunktnull“

Anlässlich des 200. Geburtstages des Dichters im vergangenen Jahr hatten die Oberstufenkurse „Darstellendes Spiel“ des Grimmelshausen Gymnasiums sich intensiv mit dem Drama Woyzeck von Georg Büchner beschäftigt und einzelne Szenenfragmente als „Werkstattpräsentation“ im Dezember 2013 vorgeführt. Seitdem arbeiteten alle drei DS-Kurse am Projekt Woyzeck 2.0, welches einen Einblick in die im Darstellenden Spiel gebräuchlichen Arbeitsweisen gewähren sollte. Die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentierten die Kurse dem interessierten Publikum am Montag, dem 7.Juli in der Aula des GGG.

Hier fotografische Impressionen von der Veranstaltung und die Informationen zur Aufführung.

Inhaltsangabe

Das Drama Woyzeck von Georg Büchner liegt lediglich in Fragmenten vor. Erst nach dem Tod Büchners ist es im Jahr 1879 in einer überarbeiteten Fassung veröffentlicht worden. Das Stück handelt von dem Soldaten Franz Woyzeck, der aufgrund von ständiger Schikane seitens der Gesellschaft schließlich zum Mörder wird.

Woyzeck ist ein einfacher Mann, der nur wenig Geld verdient. Um seinen Verdienst zu erhöhen, arbeitet er zusätzlich bei seinem Hauptmann, von dem er sich immer wieder Demütigungen und Beleidigungen gefallen lassen muss. Außerdem stellt er sich für die wissenschaftlichen Versuche eines Doktors zur Verfügung, bei welchen er sich nur von Erbsen ernähren darf. Von dem Doktor wird er lediglich als interessantes Versuchsobjekt gesehen und dementsprechend behandelt.
All das lässt er für das zusätzliche Geld über sich ergehen, um seine Freundin Marie und ihr gemeinsames Kind besser unterstützen zu können.
Im weiteren Verlauf des Dramas verliert Woyzeck immer mehr seinen Verstand und wird verrückt. Als dann auch noch Marie mit einem Tambourmajor fremdgeht, verliert Woyzeck vollkommen den Boden unter den Füßen und bringt Marie, getrieben von Eifersucht und Verzweiflung, um.

Das Fach Darstellendes Spiel

Im Zuge seines 200. Geburtstages im vergangenen Jahr haben die DS-Kurse sich intensiv mit dem Drama Woyzeck von Georg Büchner beschäftigt und einzelne Szenenfragmente als „Werkstattpräsentation“ im Dezember 2013 vorgeführt.
Seitdem arbeiten alle drei DS-Kurse am Projekt Woyzeck 2.0, welches einen Einblick in die im Darstellenden Spiel gebräuchlichen Arbeitsweisen gewährt:

Die Gruppe von Herrn Ciupka präsentiert die Form des literarischen Schauspiels mit postdramatischen Mitteln. Im Mittelpunkt der Präsentation steht der leidende Woyzeck.

Der Kurs rund um Frau Seitz präsentiert ebenfalls eine textähnliche Vorstellung, arbeitet jedoch überdies auch mit der postdramatischen Theaterform der „Experten des Alltags“. Aufgeteilt in drei Ebenen, werden die Rahmenhandlung, Woyzeck im Verhör durch die Polizei, seine Entwicklung und Lebenssituation als auch der reale Bezug zur heutigen Zeit durch „Expertenbezüge“ dargestellt.

Ebenfalls als Ausgangspunkt für ihr Projekt dient der Gruppe von Frau Mitlehner das Drama Woyzeck, wobei diese sich jedoch viel mehr mit einzelnen Themenblocks des Dramas auseinandergesetzt hat und sich auf die Überwachung des Menschen heute fokussiert hat.

Darstellendes Spiel ist demnach also kein Regietheater, das hauptsächlich literarische Vorlagen umsetzt, sondern vielmehr Theaterstücke auf das eigene Leben projiziert und Problembereiche des eigenen gesellschaftlichen Lebens erkunden möchte. Diese Probleme sollen in einer ästhetischen Form, also durch Körper und Sprache, ausgedrückt werden.

Woyzeck im Bezug zu heute

In diesem Jahr würde der Autor des Dramas Woyzeck, Georg Büchner, seinen 201. Geburtstag feiern. Inwiefern sollten also seine Werke für uns heute noch von Relevanz sein?
Scheint Woyzeck auf den ersten Blick ziemlich wenig mit der Welt, in der wir leben, zu tun zu haben, so erkennt man auf den zweiten doch einige Gemeinsamkeiten.

Der Soldat Woyzeck wird sowohl vom Hauptmann als auch vom Doktor ständig kontrolliert und überwacht; kein Handeln Woyzecks bleibt ihnen verborgen. Mit ihrem grenzlosen Wissen über Woyzeck greifen beide unmittelbar in seine Privatsphäre ein, um ihn beeinflussen und lenken zu können.

Beziehungen wie die zwischen  Woyzeck und dem Hauptmann bzw. dem Doktor sind uns fremd, weshalb wir die Situation Woyzecks als heute irreal ablehnen.
Beantworten Sie jedoch für sich diese beiden Fragen:

Sind wir in allen Lebensbereichen selbstbestimmt?
Sind wir ohne Überwachung?

Nein! So müsste Ihre Antwort lauten.

Genauso wie Woyzeck, der im Mord an seiner Liebsten das einzige Ventil für seine Überwachung und Unmündigkeit sieht, werden wir von allen Seiten fremdbestimmt und kontrolliert.

Durch unsere Smartphones, dem Online-Banking und dem Computer –um nur einige Beispiele zu nennen!- sind wir tagtäglich, in jeder Sekunde unseres Lebens, der völligen Überwachung ausgesetzt.
Dabei unterscheiden wir uns von Woyzeck noch in der Hinsicht, dass wir uns freiwillig überwachen lassen: Wir melden uns auf sozialen Netzwerken wie Facebook an und laden uns Apps herunter, die –wie wir alle wissen- Zugriff auf alle unsere privaten Daten haben.
Unser „privates“ Leben rückt damit immer mehr ins Zentrum der Öffentlichkeit und wird damit Millionen von Menschen bekannt.
Denn auch, wenn man „nichts zu verbergen“ hat, sollte die Privatsphäre immer noch privat sein und nur uns gehören!

Dennoch leben wir in einer Gesellschaft, die sich erst jetzt, mit der Enthüllung der NSA-Affäre, Gedanken darüber macht, ob eine solche Form der Entprivatisierung und Veröffentlichung privater Informationen in Ordnung ist und wie man diese verhindern kann. Neben der Fremdbestimmung, der Unterdrückung und der permanenten Überwachung sowohl durch den Hauptmann als auch den Doktor treiben Woyzeck der Verlust der körperlichen und geistigen Gesundheit, der soziale Druck, welchem er sich ausgesetzt sieht, Versagensängste sowie die Enttäuschung in der Liebe in eine tiefe Verzweiflung und Resignation.

Obwohl Georg Büchner Woyzeck vor ungefähr 180 Jahren schrieb, sind die thematischen Schwerpunkte der Handlung zeitlos und absolut auf unsere Erfahrungswelt übertragbar.

Leiden wir heute denn nicht mehr unter einem sozialen Druck?
Sind wir keinen Versagensängsten mehr ausgesetzt?
Fühlen wir uns nicht immer öfter körperlich oder geistig angeschlagen?
Sind wir nicht auch manchmal der Enttäuschung in der Liebe ausgesetzt?

Wenn Sie für sich wahrheitsgemäß diese Fragen beantworten, werden Sie feststellen, dass Büchners Werk Woyzeck auch fast 180 Jahre nach seinem Tod für uns heute noch von Relevanz ist und doch ziemlich viel mit der Welt, in der wir leben, gemeinsam hat.
Wieso?
Weil wir alle kleine Woyzecks sind.
Herr Ciupka (ds11)

Lars Binder, Lea Calzada, Yannic Christanz, Gözde Dag, Marie Göhler, Janine Kloss, Lukas Klug, Julia Kohnke, Stefan Lerch, Cem Lotz, Markus Middeke, Martin Neumeier, Jan Pospischil, Oliver Scherer, Ida Schmitt-Bylandt, Steffen Schröder, Alexander Springer, Anna Wögler, Celine Wolff, Joana von Zalewski
Frau Mitlehner (ds12)

Mareike Berk, Luisa Crost, Brian Faust, Maximilian Frank, Nils Franke, Alexander Hacker, Leon Happ, Julian Hauptmeier, Nicolaus Klein, Patrick Krol, Kai Lippert, Jessica Mai, Victoria Ost, Christopher Schmid, Tabea Schlürscheid, Mona Schwegmann, Sabrina Sieckemeyer, Mara Stolze, Lukas Thum, Roger Wilhelm

Frau Seitz (ds13)

Louisa Amberg, Malte Arnemann, Aaron Brückner, Yannik Dietz, Tom Fella, Marvin Friedrich, Dominik Hofacker, Lucy Jackson, Sarah Lachnit, Aaron Metz, Teresa Pakosch, Judith Pauli, Randy Schäfer, Anika Schmütz, Inga Stadler, Fabian Trageser, Sean Vogler, Christoph Wies, Helena Wolff, Theo Wolf, Marius Wörner