Impressionen der Aufführung von Goethes „Faust“

Bilder der Aufführung vom Freitag, dem 4.Mai 2012:

Fausts Hexeneinmaleins lebt an der Börse wieder auf

Theater AG des GGG begeistert mit moderner Aufführung des Klassikers – Fusion von traditionellem Theater, Populärkultur und gegenwärtiger Politik

(dju). Die Aula des Grimmelshausen-Gymnasiums wurde zum Schauplatz eines außergewöhnlichen Spektakels: Die schuleigene Theater AG führte unter Leitung von Paul Ciupka und Natascha Seitz zum ersten Mal öffentlich Goethes Faust auf. Doch wie Schulleiter Friedrich Bell in seiner Ansprache bereits vorwegnahm: „Wir sehen hier nicht nur ein klassisches Stück.“ Ciupka, Seitz und ein ganzes Team von Schülern und Lehrern stemmten auf beeindruckende Weise die Fusion von traditionellem Theater sowie Populärkultur und gegenwärtiger Politik, was vom Publikum mit stehenden Ovationen gewürdigt wurde.

In der voll besetzten Aula zeigte die bunt gemischte Theatertruppe, dass auch „angestaubter“ Stoff immer wieder neu erfunden werden kann. Ciupka erklärte, dass er sich entschieden hatte, auch Teile aus Faust II einzuarbeiten, um das Stück vollständiger präsentieren zu können, um zu zeigen, wie die Wette der beiden Protagonisten ausgeht. Die Art, wie diese Szene allerdings umgesetzt wurde, war sensationell und spannungsgeladen.

Doch zunächst begann das Spiel mit leisen Tönen: Das Lied „Hurt“, geschrieben von „Nine Inch Nails“, populär geworden in der Version von Johnny Cash und live am Flügel gespielt von Antonia Keßler bildete den Auftakt als Fausts Thema. Der Vorhang öffnete sich und enthüllte den dreifachen Faust im Doktorkittel. Antonia Kessler, Tassilo Hahm und Isabelle Yu teilten sich den berühmten Faust’schen Monolog über das Streben nach Wissen und rezitierten ihn flüssig und zackig. Im Hintergrund der zweigeteilten Bühne tauchten dann gar vier Versionen von Mephisto auf: Lehrer Christopher Meyer, Hannah Hartge, Sophia Müller und Amanda Konieczna, gekleidet in roten Hosen und Hemden, langen schwarzen Mänteln und ausgestattet mit Schirm, Charme und Melone, respektive Zylinder. Das Make-up zweier Mephistos (Meyer und Hartge) war dem Joker aus dem Film „Batman – The Dark Knight“ nachempfunden und spiegelte so auch dessen Sinn für Chaos in Mephistos Rolle wider. Dies wurde noch verstärkt durch Hannah Hartges Imitation eines der Markenzeichen dieses Jokers: dem permanenten wilden Lippenlecken.

Gelungene Notlösung

In einem Tanz umgarnten die Mephistos die Fäuste wie Puppenspieler, passenderweise untermalt mit „I Put a Spell on You“ von „Screamin’ Jay Hawkins“, dem Thema des Mephisto. Das sollte diesen Abend noch öfter ertönen, grandios auf dem Saxophon gespielt von Lukas Schmidt, der als Notlösung in der Woche vor den Aufführungen gefunden wurde, da der ursprüngliche Saxophonist ausgestiegen war. Er sollte sich als gute Wahl herausstellen. So durfte nun Mephisto seinen mindestens ebenso berühmten Monolog halten, und die vier Schauspieler verkündeten wie aus einem Mund: „Ich bin der Geist, der stets verneint.“ Es folgte die Wette um Fausts Seele, in blitzartiger Interaktion zwischen den Spielern. Dem Publikum blieb kaum eine Atempause, trotzdem konnte man dem dreifachen Dialog jederzeit folgen und dabei die kleinen Eigenheiten der verschiedenen Besetzungen schätzen lernen.

Die nächste Szene deutete dann in die Richtung, die die Aufführung noch nehmen würde: die Mädchen und insbesondere die Schüler vor dem Tor waren doch sehr eindeutig so gekleidet, wie man es auch gegenwärtig auf jedem Schulhof finden würde. Der folgende Osterspaziergang fand auf einer Erhöhung statt, die Vorder- und Hinterbühne teilte und dadurch für mehr Spieltiefe sorgte. Ein Augenzwinkern in Richtung moderne Technik war dann der „Zauberspiegel“: Heinrich Faust durfte einen Blick auf ein iPad werfen, das ein Bild von der schönsten aller Frauen zeigte: Diane Kruger als Helena von Troja. Das Mephisto-Duo Meyer/Hartge spielte anschließend brillant die Verlockung von Faust bevor Gretchen alias Theater-AG Neuling Mahalia Slisch die Bühne betrat. Von Unerfahrenheit war allerdings keine Spur, Slisch ging in ihrer Rolle auf und spielte Gretchen intensiv und emotional, im Verlauf des Stückes zerrissen zwischen Wahnsinn und Verzweiflung. Aufgelockert wurde die Aufführung immer wieder durch kleine Tanzschritte oder musikalische Intermezzi während der Szenenwechsel.

Der kaiserliche Hof wurde repräsentiert durch den Bundestag, mit einem Finanzminister im Rollstuhl, der, ganz im Tenor der gegenwärtigen Politik verkündete: „Wir wollen alle Tage sparen.“ Auch zu Goethes Zeiten war die finanzielle Lage eben nicht immer rosig. Da Faust aber nun mal einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte, wurde durch die Einführung des Papiergeldes die Armut beseitigt. Was nun folgte, war schlichtweg sensationell. Auf den Bühnenhintergrund wurde eine Videoanimation im Stile der „Matrix“ projiziert, anstatt Zahlenkolumnen wanderten allerdings Dollarzeichen über den Bildschirm. Es ertönten klingelnde Telefone und der Sturm brach los. Börsianer, bekleidet mit Clownsmasken wanderten durch die Zuschauerreihen, warfen Bündel von Geldscheinen in die Menge und beschworen das Hexeneinmaleins, während die Projektion nun für Hedgefonds und andere finanzielle Produkte warb. Dazu dröhnte aus den Boxen die hektische Elektro-Rock-Nummer „Firestarter“ von „The Prodigy“, um den Effekt zu verstärken. Als schließlich alle Börsianer an der Bühne versammelt waren, wandelte sich die Szene wiederum und die Bezüge zu Christopher Nolans Film wurden komplettiert: An der Wand war ein Berg von brennenden Geldbündeln zu sehen, ein Ausschnitt aus dem Film, und die entsprechende Musik beschallte die im Vordergrund dargestellte hemmungslose Dekadenz der Börsianer. Unerwartet tauchte auf der hinteren Bühne die Occupy-Bewegung auf, bewaffnet mit Transparenten und den obligatorischen Guy-Fawkes-Masken, während die systemkritischen „Rage Against the Machine“ aus den Boxen erklangen. Die Action entlud sich dann in einer dramatischen Szene, in der Faust Gretchens Geist entdeckte, was den Zuschauern eine kleine Verschnaufpause nach dem multimedialen Spektakel bot.

Den Abschluss machte eine dreigeteilte Szene, im Hintergrund klagte Faust einem Mephisto-Duo sein Schicksal, im Vordergrund diskutierte das zweite Mephisto-Duo, und der Mittelpunkt der Bühne wurde von der tragischen Figur des alten Fausts eingenommen, wunderbar von dem dafür prädestinierten Lehrer in Altersteilzeit Wolfgang Schmidt dargestellt. „Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde geh’n!“ versprach Faust in der Wette und so geschah es. Als der Vorhang fiel, äußerte auch das Publikum den Wunsch, der Augenblick möge verweilen und belohnte Schauspieler und Crew für ihre Mühen mit tosendem Applaus. Selbst der Ruf nach einer Zugabe wurde erhört: Lukas Schmidt ließ sich zu einem kurzen Saxophonsolo hinreißen, spielte eine der bekanntesten Melodien für Saxophon aus George Michaels „Careless Whisper“. Auch Regisseur Ciupka zeigte sich nach der Vorstellung weitgehend zufrieden, „bis auf eine kleine technischen Panne am Ende“: Jemand hatte aus einem Tongerät den Stecker gezogen. Wirklich aufgefallen ist es niemandem

(Quelle: „Gelnhäuser Tageblatt“ 8.5.2012)