Lang ersehnte Post aus England

„Juchhu, die Briefe sind da!“, jubelt die Klasse 5.3, als ich den großen braunen Umschlag mit englischen Briefmarken öffne. Was wie Kommunikation aus dem vergangenen Jahrhundert klingt, war der Beginn eines ganz modernen Kontaktes.

In noch manchmal holprigem Deutsch konnten die 5.3-ler über ihre englischen Briefpartner, auf Englisch „penpals“, lesen. Sorgsam hatte die englische Partnerlehrerin, eine vor 25 Jahren nach Plymouth emigrierte Französin, die Paare ausgewählt. Denn zunächst hatten die Kinder der 5.3 über sich geschrieben und konnte die Lehrerin dort „matchen“. So bekamen die Kinder der 5.3 sehr passende Partner: die beispielsweise auch in großen Familien leben, auch Sport mögen oder in ihrer Freizeit reiten. Zudem gab es als Pendant zum deutschen Brexit-Klassenfoto – lauter zusammenmontierte Einzelfotos – ein Klassenfoto der englischen Kinder in ihren Schuluniformen. Das löste, wie bei jeder neuen Kindergeneration, Erstaunen aus: Müssen die das wirklich anziehen?

IT-Kenntnisse ganz nebenbei

Im IKG-Unterricht konnte ich Computerkenntnisse mit dem Projekt verbinden. Word verwenden, Texte gestalten, Dateien speichern, all das klingt selbstverständlich, aber muss gelernt werden. Genau wie Internetrecherche: Die Schüler öffneten vorgegebene Links zur Webseite des Plymouth College und zu Plymouth, sie luden Fotos herunter und fügten sie in die Aufgaben ein. Und sie staunten: so eine schöne Stadt.

Die sichere Plattform eTwinning

Eigentlich war der Kontakt als rein virtueller Austausch gedacht, doch das Anmeldeprozedere bei der sicheren Plattform eTwinning zog sich über Wochen, so dass eben klassische Briefe geschrieben wurden. Als der Kontakt über eTwinning alle Prüfungsphasen überwunden hatte, tauschten die Kinder auf eigenen Webseiten für je zwei Kinder individuelle Weihnachtsgrüße aus. Zudem nahmen einige deutsche Kinder zuhause sehr emotionale Weihnachtslieder auf, denn aufgrund der Pandemie durfte nicht gemeinsam gesungen werden. Einige kopierten ansprechende Weihnachtsgedichte und erstellten eine Sprachaufnahme, so dass ein sehr beeindruckendes Ensemble des deutschen Weihnachtsfestes für die Engländer entstand. Aus England kamen im Gegenzug kleine, sehr sympathische Videos mit persönlichen Grüßen an alle Kinder und einem englischen gemeinsamen Weihnachtslied. Statt gemeinsamem Lied schickte die Klasse 5.3 eine kleine Kiste mit deutschen Süßigkeiten nach Plymouth, die einen Tag vor den Weihnachtsferien dort eintraf und wie erwartet für große Begeisterung sorgte.

Ein gelungenes Experiment

Im Januar öffnete ich die eTwinning-Seite und erfuhr, dass die englische Schule aufgrund des Brexits nicht mehr dort mitarbeiten konnte. Eine Warnung hatte es nicht gegeben. Großes Rätselraten auf beiden Seiten des Kanals folgte. Denn Aufgeben war für die Partnerlehrerin und mich keine Option. So holten sie und ich bei den Eltern eine Genehmigung ein und ein von uns zuvor mehrfach geprobtes Experiment begann: In England standen sich ein Laptop und ein PC gegenüber, auf dem einen das dort verwendete Google-System, auf dem anderen das hier verwendete Teams. Nach Minuten getaktet sprachen die Deutschen und die Engländer live mit ihren Penpals, mit Hilfe eines vorbereiteten Scripts. Die gibt es ja wirklich! war der überraschte Tenor der Beteiligten. Und die sprechen Deutsch mit Akzent! Und die sind auch nicht perfekt!

Ideen ohne Ende

Damit das Projekt am Leben blieb, waren aber neue Idee notwendig, denn nach wie vor gab und gibt es keine Internetplattform, auf der sich die Kinder schreiben dürfen. Deshalb tauschten sich die 5.3 und die zwei beteiligten Klassen in Plymouth anschließend, aktuelles Vokabular aus dem Englischbuch verwendend, über ihre Familienstammbäume, ihre Wohnungen oder Häuser und ihr Lieblingsessen in Emails aus. Immer wurden beide Sprachen verwendet, damit beide Seiten auch perfekte muttersprachliche Texte erhalten.

Die englische Kollegin und ich sammelten die Emails der Kinder ein, kopierten sie in eine lange und versendeten diese auf dem von den Eltern gestatteten Schulemailweg – und jeder verteilte die Mails wieder an die entsprechenden Empfänger und Empfängerinnen. Das ist ausgesprochen umständlich und zeitraubend und dauert für die Kinder eigentlich zu lange. Die 5.3 hatte zudem ihre Zimmer gemalt – kleine Kunstwerke entstanden so – und auch das wurde nach England geschickt. Und weil Sprachenlernen immer auch kreativ ist – und die Kollegin sprudelt nur so vor Ideen -, erstellten die deutschen Kinder Kreuzworträtsel in Englisch und Deutsch für ihre Partnerklasse, im Moment noch wartend auf die der Gegenseite. Der Verteilweg ist nach wie vor umständlich und nicht zeitgemäß, aber die Datenschutzgesetze zu Recht einhaltend.

Die Schule als beeindruckende Fotostrecke

Das Projekt geht weiter, der Kontakt soll unbedingt erhalten bleiben. Gerade fotografieren alle Klassen ihre jeweiligen Schulen, immer in Englisch und Deutsch beschreibend, was zu sehen ist. Das Gebäude von außen, Schaukästen, der Klassenraum, Schulbücher und Schultaschen. So entsteht eine Galerie des Grimmels aus der Sicht von Fünftklässlern. Und es tauchen Fragen auf: Wie wird all das in Plymouth aussehen? Nebenbei lernen alle Beteiligten Copyright, denn nirgendwo darf ein Gesicht zu erkennen sein.

Tatsächlich live miteinander sprechen

England war im Lockdown, die Schule bis zum 8. März geschlossen, sonst wäre der als Experiment begonnene Chat schon Routine. Doch ab Ende März wird es einen wiederkehrenden Videotermin geben, montags von 16.45-18 Uhr, jeweils etwa 10 Minuten werden die Kinder im Wechsel mit ihrem Penpal sprechen können. Das ist die Zeit in England, wenn die dortigen Schüler, die ganztags die Schule besuchen, (die Zeitverschiebung ist eine Stunde) darauf warten, nach Hause zu dürfen. Unsere Jungen und Mädchen sind dann schon lange zuhause und werden ihre Partner und Partnerinnen sicher fragen, wie es ist (How does it feel?), jeden Tag so lange in die Schule zu gehen. „Interkulturelle Kompetenz“ heißt so etwas im Curriculum, Neugier und Weltwissen in der Alltagssprache.