… Vorabnominierung zum deutscher Jugendliteraturpreis 2018 am GRIMMELS
Noch Leser*innen gesucht (v.a. für die Titel “Illuminae” und “Pferd,Pferd,Tiger, Tiger”)
Welches Buch wird den Jugendliteraturpreis 2018 bekommen? Eine erste Einschätzung wollen wir am Grimmels am 20.9.2018 bei unserer internen Vorabnominierung treffen. Bisher sind 11 Leser*innen und Leser dabei, die Werke der Longlist zu sichten und eine eigene Einschätzung zu treffen. Weitere Teilnehmer sind noch willkommen und können sich gern bei Frau Bischoff melden.
Der Jugendliteraturpreis (insgesamt mit 72.000 Euro dotiert) wird seit 1956 jährlich verliehen, Stifter ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Organisation von Preisfindung und Preisbekanntgabe liegt beim Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V.
Insgesamt sind 32 Titel nominiert.
Nicht alle können wir in unserer Vorabnominierung berücksichtigen. Wir haben uns für die Sparten „Jugendbuch“ und „Preis der Jugendjury“ entschieden und so stehen am GRIMMELS 11 Titel zur Debatte, die im Folgenden kurz skizziert werden.
Die einzelnen Titel beschäftigen sich mit unterschiedlichen Zeitebenen (der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft) und der Verknüpfung miteinander.
Erinnern & Erklären
Um die heutige Welt entschlüsseln zu können, müssen wir auch das Gestern mit in Betracht ziehen. Drei der nominierten Bücher setzten sich kritisch mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinander und fragen nach der Manipulierbarkeit von Menschen. Ganz zentral dabei ist, eigne Standpunkte zu finden und ggf. auch mutig verteidigen zu können. Ein Beispiel dafür ist der Roman von Johannes Herwig
Johannes Herwig “Bis die Sterne Zittern” (ab 14)
Leipzig in den 1930er Jahren:
Die Gleichschaltung durch das Nazi-Regime schreitet voran und dominiert mit Hitlerjugend und BdM auch die Jugendkultur. Es scheint keine Alternative zu geben.
In Leipzig formieren sich dennoch oppositionelle Jugendgruppen, die so genannten „Leipziger Meuten“, Jugendliche, die sich nicht gleichschalten lassen und eine eigne Jugendkultur entwickeln und pflegen. Über zwei Jahre gelingt es ihnen, einige Straßenzüge für sich zu gewinnen, dann werden sie harsch verfolgt, waren also eine zeitlich begrenzte Gegenkultur. Die Jugendjury fragt sich: Würde ich Widerstand leisten?
John Boyne “Junge auf dem Berg” (ab 12)
Für den jungen Pierrot stellt sich diese Frage zunächst nicht. Als Sohn einer französischen Mutter und eines deutschen Vaters wächst er in Paris auf. Nach dem Tod seiner Eltern muss er emigrieren: von Frankreich nach Deutschland, zu seiner Tante, die für Hitler auf dem „Berghof“ auf dem Obersalzberg arbeitet.
Damit beginnt ein perfides Kammerspiel, in dessen Verlauf Pierrot zunehmend in den Bann des Führers gerät und zu einem überzeugten Nazi mutiert. Wie kann so etwas geschehen? Wie (leicht) lassen sich Menschen manipulieren? Schafft der Roman Verständnis für etwas, wofür man eigentlich kein Verständnis haben kann?
Manja Präkels “Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß” (ab 16)
Dass wir auch heute nicht vor der Verführung durch griffige Parolen, Hass und Gewalt gefeit sind, das zeigt dieser autobiografisch geprägte Post-Wende-Roman.
Mimi wächst in den 1980er und 90er Jahren in der brandenburgischen Provinz auf und erinnert sich später an ihren Freund Oliver, der sich selbst „Hitler“ nannte und in der Neonaziszene der 1990er Jahre zu einer führenden Figur wurde. Manja Präkels erzählt vielschichtig und durchaus mit Humor von DDR-Kindheit, aber auch vom Vakuum und von der Anfälligkeit einer Gesellschaft nach dem Zusammenbrechen eines Systems.
Zukunftsvisionen
Je weiter die digitale Entwicklung und die Fortschritte von künstlicher Intelligenz gehen, desto drängender erscheinen die Fragen nach möglichen Folgen.
Sciencefiction-Romane loten dies literarisch aus.
Karl Olsberg “Boy in a white room“ (ab 13)
Ist Leben in einer rein digitalen Welt noch real? Was heißt es eigentlich, Mensch zu sein? Wo verlaufen die Grenzen zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz? Manuel wacht in einem virtuellen Raum auf und hat keinerlei Erinnerung an das, was vorher geschah.
Eine computergenerierte Stimme ermöglicht ihm über das Internet Kontakt zur Außenwelt. Rasch stellt sich heraus, dass in diesem Thriller nichts so ist wie es scheint. Stück für Stück enthüllt Manuel die Geheimnisse um seine Existenz.
Amie Kaufman und Jay Kristof “Illuminae” (ab 14)
Wir verlegen die Zukunft in den Weltraum: Nach einem Angriff auf ihren Planeten kann sich Kady auf ein Raumschiff flüchten. Einige der Flüchtlinge haben allerdings ein Virus mit an Bord gebracht. So geht die Gefahr nicht mehr nur von außen aus. Die einzige Hoffnung liegt auf AIDAN, der Künstlichen Intelligenz des Raumschiffs, ist beschädigt.
Kann sie noch Entscheidungen zum Wohle der Besatzung treffen?
Eine spannende Herausforderung an den Leser, der sich die Ereignisse anhand von Chatprotokollen, E-Mails, Videoskripten, Geheimakten und Funksprüchen erschließen muss. Aufwändig gestaltet ist das Layout mit Graphic Novel-Elementen.
Mission Alltag
Da kommt einiges auf uns zu in der Zukunft, dabei bietet der aktuelle Alltag doch schon genug Herausforderungen.
Mette Eike Neerlin “Pferd, Pferd, Tiger, Tiger” (12)
Für die 15 jährige Honey ist Alltag, was für andere Ausnahme ist: Wegen ihrer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte hat sie zahlreiche Operationen hinter sich empfindet sich selbst als hässlich. Die Eltern sind geschieden und sie wächst mit ihrer geistig behinderte Schwester bei ihrer oberflächlichen Mutter auf. Trotz allem lässt sich Honey nicht unterkriegen und versucht, das Leben zu meistern. Hierbei sind es oft Zufälle, die ihrem Leben neue Wendungen geben. Eine wichtige Begegnung ist hier, die Freundschaft mit dem sterbenden Marcel, den sie in einer Hospizeinrichtung kennenlernt.
Der Roman beschäftigt sich mit existenziellen Themen, tut dies aber mit Leichtigkeit und Witz und die außergewöhnliche und sympathische Hauptfigur zieht die Leser schnell im ihren Bann.
Ein chinesisches Sprichwort scheint treffend für ihre Situation.
„Mama huhu“ – übersetzt heißt es: „Pferd, Pferd, Tiger, Tiger“, und bedeutet: Etwas ist nicht richtig gut, aber es könnte auch schlimmer kommen.
Stefanie Höfler “Tanz der Tiefseequalle” (ab 12)
Eine ähnliche Sichtweise hat auch Niko: Er ist der Dicke in der Klasse und seine Mitschüler machen ihm das Leben zur Hölle.
Normalerweise hält er sich im Hintergrund. Doch kommt er aus sich heraus, um Sera gegen den coolen Marco beizustehen. Das hat Folgen. Und das Leben und die Weltsicht der beiden Hauptfiguren verändert sich radikal. Zweistimmig und mit kapitelweisem Perspektivwechsel erzählt Stefanie Höfler von Freundschaft und Selbstfindung.
Anne Freytag “Den Mund voll ungesagter Dinge” (ab 14)
Aus Freundschaft kann auch mehr werden, wie bei Alex und Sophie.
Doch bis die beiden Mädchen sich aufeinander einlassen können, dauert es: Denn Sophie ist eher verschlossen und Alex hat einen Freund.
Außerdem ist es für beide das erste Mal, dass sie sich für ein anderes Mädchen interessieren …
Es ist ein poetischer Roman über die Liebe, wie stürmisch, stark und wunderbar es sich anfühlt, das erste Mal verliebt zu sein.
Lena Gorelik “Mehr Schwarz als Lila” (ab 15)
Alex, Paul und Nina sind vermeintlich untrennbare Freunde, die mit Spielen und Mutproben Grenzen ausloten und überschreiten. Als der neue Referendar auftaucht, laufen ihre Mutproben immer weiter aus dem Ruder …
Eine sprachgewaltige Erzählung über Freundschaft, erste Liebe und Vertrauen.
Lauren Wolk “Das Jahr, in dem ich lügen lernte” (ab 12)
Lauren Wolks Roman über Mobbing und falsche Anschuldigungen spielt in den USA der 1940er Jahre, wirkt aber zeitlos, weil er ganz universelle Fragen stellt:
Welche Folgen haben Lügen? Muss man sich unmoralischen Menschen gegenüber moralisch verhalten? Annabelle wird von Betty terrorisiert. Um Annabelle spannt sich schon bald ein Netz aus Lügen. Der schonungslose Roman behandelt wichtige Themen wie Zivilcourage, Mut und Gerechtigkeit.
Angie Thomas: “The Hate U Give” (ab 14)
Um Ausgrenzung, Zivilcourage und Mut geht es auch in dem zweiten Buch aus den USA und es ist politisch höchst brisant: „The Hate U Give“ von Angie Thomas erzählt von Rassismus, Vorurteilen und Polizeigewalt gegenüber Schwarzen. Wie brisant und aktuell das Buch heute ist, zeigt, dass das Buch gleich in zwei Sparten für den Jugendliteraturpreis vorgeschlagen wurde – und zwar in den Sparten „Jugendbuch“ und „Preis der Jugendjury“.
Starr wächst zwischen den Welten auf. Sie wohnt in einem von Gangkonflikten geprägten Schwarzenghetto, besucht aber eine vornehmlich von Weißen besuchte Privatschule. Die Situation eskaliert, als ihr Freund Khali von einem weißen Polizisten erschossen wird und sie die einzige Zeugin ist.
Der Roman gibt Einblick in die Hintergründe der Black-Lives-Matter-Bewegung. Mit einer couragierten weiblichen Heldin.
Welche beiden dieser 11 Bücher würden wir nominieren, wenn wir Mitglieder der Jury wären? Darum wird es in der Veranstaltung am 20.9.2018 ab 16 Uhr gehen, zu der Kritiker*innen und interessierte Zuhörer gleichermaßen herzlich eingeladen sind. Ganz verschiedene, aber allesamt spannende Neuerscheinungen warten auf ihre Entdeckung.
(StRn Christine Bischoff)