Von der HOFFNUNG als Lebensprinzip: „Meet a rabbi“ ist eine Initiative von Dr. Uwe Becker, dem Antisemitismus-Beauftragten der hessischen Landesregierung. Das Grimmelshausen-Gymnasium gehört zu den acht Schulen in Hessen, die an diesem Projekt der Begegnung teilnehmen.
Nach zwei Jahren besuchte Julien Chaim Soussan, der orthodoxe Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, am 28.11. erneut das Grimmels. Die Begegnung war für die Schülerinnen und Schüler der Q3 Geschichte von Andrea Diallo und des Projekts „Facts not Fiction“ unter Leitung von Christine Bischof eine große Bereicherung. „Er hat uns mit weit geöffneten Armen in seine Welt eingeladen“, so äußerte eine Schülerin nach dem Gespräch ihren Eindruck. So berührte Rabbiner Soussan mit seiner authentischen und reflektierten Perspektive auf Geschichte und Gegenwart die Zuhörerschaft auf besondere Weise.
Eine knappe Stunde referierte er aus seiner jüdischen Sicht über die Welt und das Menschsein von Anbeginn, bevor er mit den Schülerinnen und Schülern in den Dialog trat und sich zu ihren Fragen äußerte. Er begann mit der Schöpfungsgeschichte und beschrieb, wie mit dem Sündenfall das Konzept von Gut und Böse das erste Konzept Richtig und Falsch abgelöst habe und damit die Menschheit auf die subjektive Ebene gesunken sei. Derart „abgerutscht“ in die eigene Subjektivität, sei es für den Menschen notwendig geworden, das Zusammenleben durch Gesetze zu regeln. Davon erzählen die Thora und die rabbinische Tradition. Der Rückweg ins Paradies stehe, so Rabbiner Soussan, allen Menschen offen, die ein Minimum an Moralität (dargestellt in den Geboten) und damit Mitmenschlichkeit einhalten.
Wie wichtig der Rückbezug der Menschen auf Adam ist, der als Androgynos das männliche und weibliche Prinzip in sich vereinigt, zeigte der Rabbiner, indem er betonte, dass dies die fundamentale Gleichwertigkeit aller Menschen von Geburt an zeige. Aus der biblischen Schöpfungserzählung leitete er den absoluten Wert des Menschen ab. Dabei bezog er sich auf eine Sequenz aus „Schindlers Liste“, in der gesagt wird „Wer einen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt“. Dieser Satz hat ein Pendant im Koran: „Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet; und wenn jemand einem Menschen das Leben schenkt, so ist es, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben geschenkt.“ (Koran 5:32) – Wie nah sich Judentum, Islam und Christentum sein können, zeigt sich in diesem Gedanken.
Wie stark das Selbstverständnis des Judentums durch seine Geschichte geprägt wird, zeigte Rabbiner Soussan anschließend auf. Dabei wechselten sich oftmals Zeiten gesellschaftlich-kultureller Entfaltung mit dunklen Zeiten von Judenhass und Pogromen ab. Aber was bedeutet aus jüdischer Sicht Erinnerung? Nach Soussan leite Erinnerung, im Unterschied zu Geschichte, die dokumentiert, was geschehen ist, eine Handlungsanweisung für die Gegenwart ab. Dafür stehen im Judentum auch viele Feiertage wie das Lichterfest Chanukka. Es sei ein Fest der Hoffnung, da nach der Zeit von Krieg und Zerstörung das jüdische Leben und Feiern trotz allem wieder einsetzte – bis heute.
Das Prinzip Hoffnung legte er seinen jugendlichen Zuhörinnen und Zuhörern ans Herz und appellierte an die jungen Menschen, ihre Meinung zu vertreten und zu handeln. Sie müssten „laut“ werden und sich gegen Verschwörungsmythen und Menschenhass aktiv für die Demokratie einsetzen.
Im Anschluss an diese Doppelstunde war Herr Soussan noch für eine Gesprächsrunde im kleineren Kreis mit Kolleginnen und Kollegen bereit.
Christine Bischof und Andrea Diallo