Die Theater AG des Grimmelshausen Gymnasiums führt unter der Leitung von Paul Ciupka, Christine Heinrich und Kathrin Kascha am Freitag, dem 23.Mai und am Samstag, dem 24.Mai 2014 jeweils um 20.00 Uhr in der Aula des GGG das Stück „Leonce und Lena“ auf, das frei nach Georg Büchner gestaltet wurde. Die Rolle des Leonce spielt Roger Wilhelm, die Lena wird dargestellt von Mahalia Slisch. Die musikalische Leitung hat Felix Rogge. Der Eintritt ist frei.
Leonce und Lena ist auf den zweiten Blick viel autobiographischer, als es auf den ersten Blick scheint. Büchner hatte wenig Zeit für sein Lustspiel und wußte das auch. Er durfte nicht wochenlang nachdenken, er mußte beherzt nehmen, was ihm gerade einfiel. Auch vertraute er seinen Einfällen und rechnete fest mit ihnen. Viele waren von kürzer oder länger zurückliegenden Lektüren gespeist, das war ihm halb bewußt, aber so genau wollte er das gar nicht wissen. Andere kamen aus seiner Seele, die das hergab, was sie eben beschäftigte. Dazu gehörten Sorgen, Ängste und Schuldgefühle. Er sorgte sich um seine Freiheit, weil er seine romantische Liebe in eine prosaische Ehe zu verwandeln sich anschickte. Er ängstigte sich immer noch vor der Polizei. Schuldig fühlte er sich bisweilen, wenn er seine hochmütigen Angriffe auf den Staat bedachte.
Wenn ihn ein Einfall aufschreckte und er danach faßte, hatte er immer wieder einen Zipfel vom Tuch dieser drei Alpträume in der Hand. Er mußte ihn im Patchwork seines Lustspiels vernähen, zwischen den Wortspielen und den Lektürefrüchten, – das war seelisch wohltuend, das verlangten die Eile und eine innere Notwendigkeit, die sich nicht darum kümmerte, wo die Flicken und Schnipsel herkamen.
Wollte er wirklich heiraten? Das war der erste Alptraum. Die Frage beschäftigte ihn, obgleich er sich Minna doch längst versprochen hatte. Heiraten, das hieß doch einen Ziehbrunnen leertrinken. Würde die Liebe, wenn er mit Minna mittels des Ehesegens zusammengeschmiedet wäre, nicht entarten zur ehelichen Pflicht? Immer nach dem Uhraufziehen zu absolvieren wie in Laurence Sternes Roman? O Shandy, alter Shandy, wer mir deine Uhr schenkte, dachte er zweideutig. Ein solches Leben, das wäre der Tod! Minna war eine Frau, aber sie war auch der Tod. Nein, das war unfair. Heiraten hieß vielmehr Leben und Liebe eins sein lassen, so daß die Liebe das Leben sei und das Leben die Liebe. Er schrieb es auf. War Heiraten vielleicht doch etwas ganz Großes, die zeitliche Liebe in die ewige verwandelnd? Nein, es war spießbürgerlich. Man heiratete der Leute wegen.
Hermann Kurzke: Georg Büchner. Geschichte eines Genies. München 2013, S.398-399
Bemerkungen zu unserem Theaterprojekt
ALFIERI: e la fama? GOZZI: e la fame? – mit dieser „Vorrede“, mit der Beschwörung von Ruhm und Hunger beginnt Büchners Lustspiel. Bis heute konnte nicht nachgewiesen werden, dass Büchner hier tatsächlich den italienischen Tragödiendichter Vittorio Alfieri (1749-1803) zitiert; das zweite Zitat schließlich stammt nicht von Alfieris bekannterem Zeitgenossen, dem Lustspieldichter Carlo Gozzi, sondern von Gozzis gänzlich unbekannten Bruder Gasparo Gozzi (1717-1785). Die Vorrede verweist auf den romantischen Traum von Italien, den Sehnsuchtsort von Leonce und Valerio, und zugleich auf den Autor selbst: Lebenshunger und Existenzängste, der Wunsch und die Hoffnung, als Naturwissenschaftler oder als Dichter Anerkennung zu finden, das sind Büchners Antriebskräfte in seiner letzten, hektischen Lebensphase im Straßburger und Züricher Exil. Als auf die Geldzuweisungen der Familie angewiesener politischer Flüchtling, der in Straßburg unter widrigen Umständen seine Doktorarbeit schnell zu Ende führt, um im freien Zürich eine Universitätskarriere anzustreben, beteiligt sich Büchner nur allzu gern an dem von der renommierten Cotta´schen Buchhandlung am 16.Januar 1836 ausgesetzten Wettbewerb für das beste Lustspiel. Das Preisgeld von 300 Gulden, eine für die damaligen Verhältnisse außerordentlich hohe Summe, hätte Büchner gut gebrauchen können („e la fame?“) und der Gewinn hätte seiner Reputation als Dramatiker ausgerechnet beim Hausverlag der Weimarer Klassiker gut getan („e la fama?“), wurde sein Dramenerstling „Danton´s Tod“ doch von der konservativen Literaturkritik als „Ferkeldrama“ (Wolfgang Menzel) abgeurteilt. Daraus sollte allerdings nichts werden: Büchner schickt das Manuskript erst am 17.Mai 1836 von Straßburg aus los, zwei Tage zu spät, und erhält sein Schreiben postwendend ungeöffnet zurück.
In „Leonce und Lena“ lässt sich all das wiederentdecken, was den gescheiterten Revolutionär, den erfolglosen Dramatiker und angehenden Naturwissenschaftler Georg Büchner innerlich bewegt: Seine Empörung über die reaktionären Zustände im Großherzogtum Darmstadt, seine Enttäuschung über das Scheitern seiner Hoffnungen, die politischen Missstände gewaltsam ändern zu können, seine „Melancholie“ (wie würden heute sagen: seine Depression), ausgelöst durch den Druck der Familie, vor allem des Vaters, den vorgezeichneten Weg einer bürgerlich-akademischen Existenz einzuschlagen und die inzwischen von der Familie akzeptierte Braut Minna Jaeglé zu heiraten. „Was die Leute nicht Alles aus Langeweile treiben! Sie studieren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheiraten und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich aus Langeweile…“ – hinter diesem Lamento des melancholischen Prinzen Leonce vom Reiche Popo lässt sich unschwer der Autor selbst erkennen und sein Horror davor, zur „Drahtpuppe“ familiärer und gesellschaftlicher Erwartungen zu werden.
Was hat uns dazu bewegt, Büchners Lustspiel zu inszenieren? In den Vorbesprechungen für unser diesjähriges Theaterprojekt einigten wir uns auf das Thema jugendliche Selbstfindung: Wie erleben Jugendliche den Prozess, in Abgrenzung zur älteren Generation eigene Vorstellungen vom Leben zu entwickeln und zu realisieren? Dieser Aspekt hat uns an Büchners „Leonce und Lena“ interessiert und auf diesen Aspekt haben wir uns in unserer Fassung des Stücks konzentriert. Was dabei ausgeblendet bleibt, ist die politische Satire, die Kritik an Elend und Armut in einem Duodezfürstentum zu Beginn des 19.Jahrhunderts, dessen Landesgrenzen so eng gesteckt sind, dass vom Schloss aus beobachtet werden kann, wenn „Jemand an der Nordgrenze spazieren“ geht und dessen Landeskinder sich am Bratenduft aus der Schlossküche sattriechen müssen. Leonce und sein Mit- und Gegenspieler Valerio sind zwei junge Menschen, die das Korsett gesellschaftlicher Vorgaben und eines von der älteren Generation vorgeprägten Lebens sprengen wollen. Auf der Suche nach einem anderen, alternativen Leben fliehen sie in „den Süden“, dem nebulösen Sehnsuchtsort aller unverbesserlichen romantischen Sinnsucher. Am Ende – und das ist die bittere Ironie der Geschichte – gelangen sie wieder dorthin zurück, von wo sie einmal aufgebrochen sind, und es bleibt offen, ob nun „der Spaß noch einmal von vorne“ beginnt oder ob Valerios utopische Visionen realisiert und „alle Uhren zerschlagen“ und „alle Kalender“ verboten werden. Immerhin überlässt Büchner dem notorischen Optimisten Valerio die Schlussworte. In dem Trio Leonce, Valerio und Lena lässt Büchner all die Eigenheiten und Eigenarten aufblitzen, die für die Zeit der Jugend typisch sind: Valerio meist „himmelhoch jauchzend“ und Leonce und Lena meist „zu Tode betrübt“. Während das Liebespaar Leonce und Lena immer auf dem schmalen Grat zwischen Langeweile und Glücksverlangen, zwischen Liebes- und und Todessehnsucht entlangwandelt, vertritt Valerio stets die ungebändigte Lust am Leben; und entsprechend ist es dann auch Valerio, der Leonce vor dem Sprung in den Tod abhält. Alle drei sind keine Idealfiguren, sondern zeigen all die Egozentrik, Überspanntheit, Maßlosigkeit, Unverfrorenheit und Frechheit, die nun einmal Jugendlichen eigen ist: „Es steckt nun aber doch einmal ein gewisser Genuß in einer gewissen Gemeinheit…“ Paul Ciupka
Spieler: LEONCE: Roger Wilhelm LENA VON PIPI: Mahalia Slisch VALERIO: Jessica Erlebach KÖNIG PETER VON POPO: Jan Pospischil KÖNIGIN: Amanda Konieczna LENAS MUTTER: Selina Pudell ROSETTA: Marei Debertin STAATSSEKRETÄRIN: Alina Geilich FINANZMINISTER: Christoph Wies INNENMINISTER: Mareike Berk AUSSENMINISTER: Jana Laska WIRTSCHAFTSMINISTER: Pascal Marggraf PREDIGER: Sean Vogel
Regieteam: LICHT- UND TONREGIE: Moritz Englisch, Laura Johann, Nicolaus Klein, Kai Lippmann, Anika Schmütz CHOREOGRAFIE: Lena Esch, Sarah Holzmann MUSIKALISCHE LEITUNG: Felix Rogge REQUISITE: Kathrin Kascha SZENARIO: Paul Ciupka SPIELLEITUNG: Paul Ciupka, Christine Heinrich, Kathrin Kascha