GRUSELMENÜ Jörg Höller schlüpft in Rolle des Psychopathen / Kochen für die Klassenfahrt
Wie kann es passieren, dass sich ein Mann im Verfolgungswahn in eine Tiefkühltruhe legt, in der bereits von ihm Ermordete auf ewig schlummern? Und wie kommt er da wieder unerkannt heraus? Klar, dass es sich bei dieser Geschichte nicht um einen Polizeibericht, sondern um Literatur handelt. Jörg Höller lieh diesem seltsamen Psychopathen mit Hang zum Eisigen Figur und Stimme. Zugunsten der Oberstufenklassen des Grimmelshausen-Gymnasiums lud er zu einer Gänsehaut-Lesung ein und stellte in diesem Rahmen eine ganze Reihe von gestörten Persönlichkeiten genauer vor.
„Sie sind da draußen und wollen mich holen.“ Eine dicke Wollmütze auf dem Kopf eilte Höller durch die Zuschauer. Über 100 Gäste hatten sich an diesem Abend im Caféhaus des Grimmelshausen-Gymnasiums eingefunden. So auch eine sehr schreckhafte Figur, die sich aber sicher war: „Ich werde verfolgt.“ Gespenstische Musik, Kerzenschein, gedimmtes Licht. Alles war prädestiniert für einen Abend voller verquerer Figuren: „Wissen sie eigentlich, wer sie sind?“, fragte Höller gleich zu Beginn. „Oder mit wem sie zusammenwohnen?“
„Geschichten aus der irren Welt der Psychopathen“ ist eines der vielen Programme des Rezitators und Lehrers. Letztere Anstellung war der Grund für jenen Abend: „Seit 15 Jahren sind die Zuschüsse zu den Abschlussfahrten immer gleich geblieben“, berichtete er. Die beiden Englisch-Leistungskurse, so auch eine Klasse, die er betreut, gehen im Sommer auf die letzte große Klassenfahrt für eine Woche nach Dublin, aber ohne das passende Budget: „Seit Jahren ist es so, dass sich die Leistungskurse durch Aktionen die Fahrt und einige Aktivitäten dort ermöglichen. Es muss ja nicht immer nur das kostenlose Museum sein, auch als Lehrer möchte man ja was erleben.“ So entschied er sich, zugunsten der beiden Leistungskurse aufzutreten. Hilfe bekam er vom Team des Caféhauses sowie von den beiden Klassen selbst:
„Gemeinsam haben sie das Drei-Gänge-Menü, das jeder Besucher erhielt, gekocht. Die Schülerinnen und Schüler kümmerten sich zudem um den Einlass und die Bewirtung der Gäste.“ Die Resonanz war super, „wir haben sehr viele Karten verkauft“. Zum Schluss ging aber noch einmal ein Zylinder durch die Reihen der Gäste, die sich an den schön geschmückten Tischen sichtlich wohlfühlten.
„Am meisten Spaß machen mir Charakterrollen, die speziell sind. Außenseitercharaktere, in die man sich als Rezitator sehr stark hineinversetzen kann und auch muss, spiele ich am liebsten.“ Mit den Psychopathen hat Höller ein für ihn passendes Thema gefunden. Mit einem Zwinkern stellte er auch klar, dass „natürlich viel Autobiografisches dabei ist. Ich muss nur morgens in den Spiegel schauen“, lachte er.
Ein Interview mit der einen oder anderen Wendung, nämlich mit weniger als der nötigen Mindestanzahl an Personen, sorgte im Anschluss für überraschte Gesichter. Denn Höller berichtete nicht nur über die Welt der Psychopathen, er entführte auch dorthin, mit Gedanken, Theatralik, Musik- und Lichteffekten. Den dramatischen Höhepunkt bildete „Das schwatzende oder verräterische Herz“ von Edgar Allan Poe, natürlich in einer Fassung des Rezitators. Abschließend gab er noch zu bedenken: „Sechs Prozent der Menschen sind Psychopathen. Die meisten davon leben aber außerhalb von geschlossenen Anstalten.“
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