Die Osterfeiertage sind vorüber, noch sind Ferien an den Schulen in Hessen. Für die Theater-AG des Grimmelshausen-Gymnasiums Gelnhausen (GGG) heißt das: Noch einmal kurz Verschnaufpause, bevor die Endphase der Proben für ihr neues Stück beginnt, denn schon bald danach soll „DA-DA-DA – ein musikalisch-literarischer Abend von und mit Anna Blume“ aufgeführt werden.
Wie der Titel schon nahelegt, handelt es sich dieses Jahr um eine dadaistische Eigenproduktion. Nachdem in den letzten Jahren mit Goethes „Faust“, Büchners „Leonce und Lena“ sowie zuletzt Shakespeares „Sommernachtstraum“ vor allem klassische Theaterstücke adaptiert wurden, sollte nun etwas ganz anderes und vor allem etwas Eigenes her – und passend zu dem 100-jährigen Jubiläum der Dadabewegung fiel dieses Jahr die Wahl auf ein dadaistisches Stück. Als Arbeitsmaterial dienten dafür nicht nur existierende dadaistische Gedichte und Manifeste, sondern auch Sketche von Monty Python und bekannte Lieder der Neuen Deutschen Welle. Entstanden ist eine bunte Collage, die aber trotz dem Image der Sinnlosigkeit, das dem Dadaismus anhaftet, verständlich und unterhaltsam bleiben soll.
Paul Ciupka, Lehrer und langjähriger Leiter der AG, meint dazu: „Einigen fällt es schwer, sich auf den Dadaismus einzulassen, das ist auch bei den Schülern so. Es hat sich daher so ergeben, dass sie schnell in die Richtung Sketche gegangen sind und auch Monty Python eingebracht haben. So wird es nicht zu abstrakt und der schwarze Humor kommt nicht zu kurz.“ Es werde daher auch keine reinen Lautgedichte geben, obwohl diese typisch für den Dadaismus sind. „Wir legen hinter jeden Text eine Geschichte, auch wenn diese völlig absurd ist“, erklärt Ciupka. Im Gegensatz zu dem Ursprung des Dadaismus, der nach dem Ersten Weltkrieg mit seiner anarchistischen Form durchaus politisch verstanden wurde und sich auch kritisch mit der Kunst selbst auseinandersetzte, bilden in dem neuen Stück der Theater-AG also Beziehungsgeschichten einen roten Faden. Dabei spielt das Gedicht ‚Anna Blume‘ von Kurt Schwitters eine zentrale Rolle, das wohl das populärste Gedicht aus dieser Zeit – auch und gerade wegen seiner Vieldeutigkeit: „Es lässt sich wie die meisten dadaistischen Gedichte nicht auf einen Sinn reduzieren. Man kann Anna Blume aber als Verkörperung des Gefühlslebens deuten, die damit auch für zwischenmenschliche Beziehungen steht“, so Ciupka. Das Gedicht wird daher nicht nur als Text eine Rolle spielen, sondern auch in Form der Figur Anna auf die Bühne treten. Die anderen Text wurden so ausgewählt, dass die politischen und gesellschaftskritischen Themen eher ausgespart bleiben. Man wolle sich eben auf Beziehungen konzentrieren, erklärt der Lehrer. Der politische Bezug, der vor allem nach 1920 eine wichtige Rolle innerhalb des Dadaismus spielte, wobei die Dadadisten vor allem vom Anarchismus und vom Marxismus beeinflusst waren, sei heute für die Schüler unverständlich: Die wirtschaftliche Krise, die politischen Unruhen zu Beginn der Weimarer Republik oder die Kritik der Dadaisten an der Verbürgerlichung der expressionistischen Kunst, von der sich die Dadaisten höhnisch absetzten, sei uns heute sehr fern und in dieser Form meist unverständlich. „Unsere Auswahl vereinfacht das, hier ist kein gewaltsamer Eingriff nötig, um die Texte verständlich zu machen.“
Ciupka ist es dabei wichtig, den Schülern wie auch später dem Publikum den Dadaismus schmackhaft zu machen. Trotz seiner großen Bedeutung für die Moderne stehe er nicht mehr auf dem Lehrplan, obwohl viele Ideen dieser Strömung auch heute noch hochaktuell seien: „Der Dadaismus war die wohl kreativste Kunstbewegung in der Moderne. Er verwendete zum ersten Mal Sprache wie Musik und hatte dadurch großen Einfluss auf die „konkrete Poesie“, zum Beispiel auf Ernst Jandel, aber auch auf die heute so populäre Poetry Slam-Bewegung. Die Gedichte waren in der Regel dazu gedacht, vorgetragen zu werden und das Publikum zum Mitspieler zu machen, die Zuhörer sollten provoziert werden. Das war Poetry Slam damals 1915, 1916. Die Dadaisten haben auch als erste verstanden, dass in der Kunst das Zeitalter der Reproduzierbarkeit angebrochen ist, in dem Film und Fotografie die Wirklichkeit viel besser abbilden können als jeder Maler. Das haben die Dadaisten zum ersten Mal wirklich zu Ende gedacht. Es zählte allein die Idee, der Dadaismus ist Ideenkunst. Er wollte auch die Barriere zwischen Kunst und Realität zum Einreißen bringen, die Kunst von ihrem hohen Podest aus dem Museum herunterholen.
Auch neue künstlerische Techniken wie Collage und Montage seien in dieser Zeit von den Dadaisten entdeckt und fortentwickelt worden, die heute in der bildenden, aber auch populären Kunst eine große Rolle spielten. Das Prinzip, vorgefundene Versatzstücke mosaikartig zusammen zu puzzeln, finde sich selbst im Sampling des Hip-Hop wieder. Auch wenn man die Entwicklung der Popmusik betrachte, stoße man hier auf zahlreiche Einflüsse aus dem Dadaismus. Die Theater-AG entschied sich daher, bekannte Musikstücke, einschließlich Gesang und Tanz, einzubauen, die thematisch in den gewählten Rahmen passen.
Für diese Kombination verschiedener Ausdrucksformen des Theaters bringen die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Talente ein: Die wichtige Rolle der Live-Musik wird neben drei, vier Gesangsstücken einzelner Spieler durch die diesjährige Abi-Band des GGG für die musikalische Ausgestaltung ausgefüllt. Doch nicht nur Text und Musik, auch Tanzeinlagen sind mit dabei, die von den talentierten etwa 15 Nachwuchsschauspielern dargebracht werden. Dabei bedarf es auch einer ausgereiften Licht- und Tontechnik – nicht nur, wenn Bildprojektionen eingespielt werden: Eine kleine, selbstverantwortliche Gruppe von Schülerinnen und Schülern ist allein für die professionelle Umsetzung der Technik zuständig. Mit ausgereifter Licht-, Ton und Projektionstechnik setzen sie das Dargebotene wirkungsvoll in Szene. Insgesamt ist es eine Gruppe von 20 bis 25 Jugendlichen, aus Schauspielern, Musikern und Technikern, die bis Ende April eine anspruchsvolle und unterhaltsame Inszenierung auf die Beine stellen wird.
Die Aufführungen werden am 29. und 30. April jeweils um 20:00 Uhr in der Aula des GGG stattfinden, der Eintritt ist frei. Eine Sektbar bietet vor der Aufführung und während der Pause Getränke und kleine Snacks an.