GT-SERIE „Alte Kinzigtaler erzählen“: Gernot Frey gehörte zu den Mitbegründern des Jazzkellers / „Alles in vollen Zügen genossen“
GELNHAUSEN (cra). Anfang der 60er Jahre, als die Einrichtung von Jugendzentren noch in weiter Ferne lag, waren die Möglichkeiten für Oberschüler mit schmalem Geldbeutel, sich in Cliquen außerhalb der Schule zu treffen, sehr begrenzt. Das brachte damals einige Schüler des Grimmelshausen-Gymnasiums auf die Idee, einen schuleigenen Jazzkeller zu gründen. Einer von ihnen war Gernot Frey, der gemeinsam mit ein paar Freunden den ersten Jazzkeller im ehemaligen Chemie- und Physiksaal der Schule einrichtete und die folgenden zwei Jahre organisierte. „Als im Schuljahr 1961/62 der Umzug des Grimmelshausen-Gymnasiums in den Neubau in der Aue erfolgte, kamen Günther Joh, Joachim Fischinger, Helge Schöning, Gunther Scholles und andere auf die Idee, in dem leer stehenden ehemaligen Schulgebäude einen Jazzkeller einzurichten und dort regelmäßig Konzerte zu veranstalten. In der Schule hatte sich nämlich die Christoffels Blues Band gegründet, die nach regelmäßigen Gelegenheiten zum Auftritt suchte“, berichtet der 69-Jährige. Die Idee wurde mündlich weiterverbreitet und rasch bildete sich ein Kreis engagierter Schüler, der sich mit seinem Wunsch nach einem von den Schülern selbst organisierten Jazzkeller an Schulleiter Dr. Werner Ratz und den jungen Vertrauenslehrer Hellmut Pohnert wandte. Im Lehrerkollegium sei das Ansinnen sehr emotional und kontrovers diskutiert worden, erinnert sich Frey. Während einige ältere Lehrkräfte unkontrollierbares, sittenwidriges Verhalten befürchteten und entrüstet ablehnten, unterstützte Pohnert das Anliegen der Jugendlichen und erklärte sich bereit, im Rahmen dieser Schulveranstaltungen Aufsicht zu führen. So ließ sich auch der Schulleiter überzeugen, ohne dessen Einverständnis der Jazzkeller nicht hätte etabliert werden können. Nach einer gemeinsamen Besichtigung im alten Schulgebäude stellten sich die vorhandenen Kellerräume als Veranstaltungsort ungeeignet heraus.
Schüler renovieren
Im ehemaligen Physik- und Chemiesaal hingegen war, wegen der Experimente, bereits eine Theke aus säurefestem Blei mit einem Spülbecken vorhanden und auch die Größe schien zu passen. „In unserer Freizeit haben wir nachmittags den Raum hergerichtet und aus Holz, das der Vater von Günther Joh, Inhaber der Firma Gummi-Joh, gespendet hatte, eine Bühne für die Musiker gebaut. Zur Eröffnung wurde natürlich auch das gesamte Lehrerkollegium eingeladen. Weil wir mit viel Geld in Vorleistung getreten waren, haben wir am Ausgang einen Zylinder für Spenden aufgestellt und um eine milde Gabe gebeten. Um zu vermeiden, dass man uns mit kleinen Münzen abspeiste, wurde vorher ein Zehnmarkschein hineingelegt und am Ende des Abends war der Hut voll. Insgesamt haben wir 95 DM eingenommen. Das hat uns gezeigt, dass unser Jazzkeller eine positive Resonanz und Akzeptanz erfahren hat“, berichtet Frey. Obwohl sich der Veranstaltungsraum im ersten Stock befand, dort wo heute die Stadtbücherei existiert, blieb der Name Jazzkeller erhalten. Ab Mai 1962 spielte dort die Schülerband anfangs
nur alle vier bis sechs Wochen, später häufiger Freitagabend ab 18 Uhr zum Tanz auf. Der Andrang war gewaltig, häufig habe
man Besucher wegen Überfüllung abwimmeln müssen, die dann draußen im Flur standen. Obwohl die Veranstaltungen im Jazzkeller bereits um 18 Uhr begannen und um 22 Uhr Zapfenstreich war, durfte man sie erst ab 16 Jahren besuchen.
„Ich erinnere mich, dass es manchmal Diskussionen gab, wenn jemand eine Freundin mitgebracht hatte, die jünger war“, so Frey. Als schulische Veranstaltung gab es natürlich ein Verbot für alkoholische Getränke, aber Rauchen war im Jazzkeller kurioserweise erlaubt, obwohl die Luft dadurch manchmal zum Schneiden gewesen sei. Gernot Frey hatte die Aufgabe übernommen, die Bar zu leiten und war auch für den Einkauf der Getränke und die Abrechnung verantwortlich. „Wir haben alles selber organisiert. Weil der ein oder andere von uns schon einen Führerschein besaß, konnte der Einkauf mit dem Auto bewältigt werden. Jedes Getränk kostete 50 Pfennig. Neben Cola und Limonade wurden auch Milchmixgetränke ausgeschenkt, die wir selbst zubereitet haben. Wenn es an der Theke viel zu tun gab, habe ich im Publikum problemlos Helfer gefunden, die sich eine Weile hinter den Tresen stellten“, erinnert sich Gernot Frey, der die Getränke übrigens auch an den Tischen servierte. Beim Betrachten der alten Fotos fällt auf, wie brav und ordentlich die Jugendlichen damals ausgesehen haben. „Wir waren
es gewohnt, Sakko und Krawatte zu tragen, wenn wir ausgingen. Erst zu Zeiten der Studentenbewegung 1968 blieben Schlips und Kragen zu Hause“, schmunzelt er. Auch heimliche Exzesse mit Alkohol und weichen Drogen seien damals noch kein Thema gewesen. „Wir wollten uns ganz einfach amüsieren, und haben alles in vollen Zügen genossen, ohne jedoch zu übertreiben“, macht er deutlich. Beim Tanzen war damals Rock‘n Roll oder Boogie-Woogie angesagt, natürlich wild und ausgelassen. Blues hingegen wurde langsam und eng getanzt, während Standardtänze wie Walzer und Foxtrott auf die Schulbälle und die Tanzstunde beschränkt blieben. „Weil um 22 Uhr im Jazzkeller die Lichter ausgingen und das Gebäude geschlossen wurde, blieb uns zum Aufräumen häufig keine Zeit mehr und so manches ungespülte Glas blieb stehen. Bei der nächsten Veranstaltung mussten wir mindestens zwei Stunden vorher eintreffen, um den Raum gründlich zu lüften und zu putzen, die vollen Aschenbecher auszuleeren und die Gläser, in denen sich bereits Schimmel angesetzt hatte, zu spülen. Das war schon ordentlich Arbeit, aber glücklicherweise wurde sie vom gesamten Team getragen.“ Als Frey und seine Mitschüler 1964 das Abitur ablegten, war der Jazzkeller längst zu einer festen Einrichtung des GGG geworden und seine Organisation wurde alle zwei Jahre in die Hände einer Gruppe.
Quelle: „GT“, 31.1.2014