Wie können Puzzlestücke eines Lebens in die Bildsprache einer Grafic Novel umgesetzt werden? Wie können Gefühle grafisch dargestellt werden? Wie Leerstellen und Erinnerungs- bzw. Recherchelücken? Wie können wir uns selbst als Teil der Geschichte darstellen? Mit Fragen wie diesen beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler der Projektgruppe „Facts not fiction“ am 24.2.2025 in einem Zoom-Meeting mit der Berliner Künstlerin Hannah Brinkmann, bei dem im Hintergrund auch die Mitarbeiterinnen der Arolsen Archives, Marlene Jatsch und Lilija Girgensohn, Bildungspartner des Grimmels, dabei waren.
Nachdem die Lernenden einen kurzen Einblick in ihre Rechercheergebnisse gegeben hatten, zeigte Hannah Brinkmann an ausgewählten Beispielen der Grafic Novel-Literatur Gestaltungs- und Darstellungselemente sowie künstlerische Herangehensweisen an Geschichte auf.
Art Spiegelmanns Reihe „MAUS.Geschichte eines Überlebenden“ (1986) ist ein erstes Beispiel. Durch die Darstellung der Menschen als Tiere wird hier das Rassedenken des NS aufs Äußerste getrieben. Als ein gestalterisches Motiv weist Hannah Brinkmann hier auf den Hometrainer hin, auf dem der Vater sitzt, während er von Auschwitz erzählt – eine bildsprachliche Darstellungsform von Stagnation im Bezug auf Erinnerung.
„Das Tagebuch der Anne Frank“ (2017), zeichnerisch umgesetzt und erzählt von Ari Folman und David Polonski, stellt eindrücklich dar, wie Juden in den 1930er Jahren immer mehr Bewegungsfreiheit verlieren und Familie Frank – als Beispiel für viele – jahrelang in einem Versteck leben muss. Bildsprachlich spannend ist hier beispielsweise die Darstellung der Hausbewohner als Aufziehpuppen – immer die gleiche Leier…..
Eine andere collagenartige Erzählform wählte Nora Krug in ihrer biographisch angelegten Grafic Novel „Heimat“ (2018), in der sie ihre ganz individuelle Auseinandersetzung mit ihrer Familiengeschichte, mit Schuld, Zugehörigkeit und Identität darstellt.
An was erinnern sich Menschen, die als Kinder den Holocaust erlebt und überlebt haben? Dies ist Ansatzpunkt der Lebensgeschichte von Emmie Arbel, die Barbara Yelin in den Grafic Novels „Aber ich lebe“ (2022) und „Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung“ (2023) eingefangen hat. Spannend an ihrem Ansatz ist die Verzahnung von Gegenwart und Vergangenheit. So führt zum Beispiel ein Zuckerlöffel als einziges gegenständliches Erinnerungsstück an die Mutter der Protagonistin zurück in die Geschichte der Erinnerung. Auch die Begegnung der Künstlerin mit der Holocaustüberlebenden wird als Teil der Geschichte miterzählt.
Diese Idee greift Hadya im anschließenden Gespräch auf: „Ich fände es spannend, wenn wir uns auch selbst zeichnen lassen würden und so Teil der Geschichte werden.“ Anna hatte die Idee, mit Farben und deren Symbolkraft zu spielen: „Im Lauf von Lottes Geschichte verblassen die Farben vielleicht zunehmend. Aber ich glaube, wenn sie Theater spielt, sind die Farben wieder bunt und kräftig, denn Theater war für sie vielleicht ein momenthafter Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit.“ „Wie stellen wir dar, was wir nicht wissen?“ war eine Frage, die Felix und Maike beschäftigte. Vielleicht eignet sich ein Loch oder ein dunkler Fleck, um Erinnerungslücken oder das, was verloren gegangen ist, zu zeigen.
Im zweiten Workshopteil stellte Hannah Brinkmann ihr eigenes Werk vor und beeindruckte mit einer Lesung aus „Zeit heilt keine Wunden. Das Leben des Ernst Grube“ (2024). Als Kind hat Grube Theresienstadt überlebt und schließt sich später der kommunistischen Bewegung in der Bundesrepublik an, wird verurteilt und inhaftiert. Neben der Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der NS- Zeit findet so in Brinkmanns Werk auch eine kritische Auseinandersetzung mit Antikommunismus in der jungen Bundesrepublik statt. Eindrucksvoll ist für die Zuhörenden und Zusehenden der Lesung via Zoom, wie es Hannah Brinkmann gelingt, Emotionen durch Formen und Pflanzenmetaphorik zu visualisieren.
Die ausdrucksstarke Bildsprache der Künstlerin und ihr reflektierter Umgang mit Geschichte sowie ihre sensible Fokussierung auf das Menschliche machte die Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer neugierig auf den gemeinsamen Workshop am 13. und 14.3., an dem Hannah Brinkmann am Grimmels mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten wird.
Christine Bischoff