Ein Reisebericht von Noemi Kirch
Am 28. August 2016 flog ich zusammen mit 11 anderen deutschen Austauschschülern nach Alberta, Kanada. Der Flug ging über Montreal und Calgary, ehe wir in Edmonton, der Hauptstadt Albertas, ankamen. Meine Gastfamilie, sowie die der anderen Austauschschüler, empfingen mich direkt am Flughafen nach meinem 24-Stundenflug, von dem ich ungefähr 12 in der Luft verbracht hatte. Meine Austauschschülerin, Kelaila, umarmte mich bei meiner Ankunft. Auch der Rest der Familie begrüßte mich herzlich.
Ich war nach dem Flug ziemlich müde und bin in meinem vorrübergehenden Zuhause sofort ins Bett gegangen. Das Haus meiner Gastfamilie war auf dem Land, 15 Minuten mit dem Auto von Spruce Grove entfernt, dem Ort in dem ich dann später auch die High School besuchte. Auf dem Land bedeutet in Kanada nicht wie hier, dass man fünf Minuten mit dem Fahrrad fährt und im nächsten Ort ist, oder dass man einfach etwas weiter Außerhalb wohnt. Nein, es bedeutet dass man ohne Auto nicht weit kommt, man wöchentlich seinen Wasserkanister mit Wasser auffüllen fahren muss, damit man Wasser zum Duschen, Kochen oder seine Geschäfte erledigen hat. Meine Gastfamilie erzählte mir, dass es manchmal vorkommt, dass sie gerade mit Shampoo im Haar unter der Dusche stehen und dann plötzlich kein Wasser mehr aus dem Hahn kommt. Außerdem ist es kompliziert sich einen Internetanschluss zu beschaffen und man ist als Familie abhängig voneinander, wer einen mal wohin fährt oder abholt. Aber was es auch bedeutet ist, dass man ein riesiges Grundstück hat, Ruhe vor sämtlichem Lärm und man so ziemlich alles machen kann was man will, da in der Nachbarschaft gerade mal vier Häuser weit auseinander stehen. Es bedeutet, dass man den Sternenhimmel klar in jeder Nacht sieht und manchmal sogar Nordlichter erblicken kann. Meine Gastfamilie bestand aus Vater, Mutter, meiner Austauschpartnerin und ihren zwei kleineren Brüdern. Außerdem hatten sie drei Katzen. Das Haus, sowie alles andere in Kanada, waren ziemlich groß und ich hatte mein eigenes Zimmer, wofür ich dankbar war, und musste mir mein Bad nur mit Kelaila teilen. Das Haus hatte außer dem großen Grundstück noch eine Hot-Tub (im Prinzip ein Whirlpool ohne das Blubbern und einfach nur mit heißem Wasser) und eine kleine Version eines Heimkinos. Das erste was mir in Kanada auffiel war, wie groß und weit alles war. In ein Feld eines Bauern in Kanada passen mindestens vier deutsche Bauernfelder rein. Alles war flach und man konnte ziemlich weit sehen.
In meinen ersten Tagen in Kanada war es noch alles ungewohnt. Ich war schüchtern und fühlte mich noch nicht wohl und ich muss auch zugeben dass ich am Anfang auch öfters Heimweh hatte, als ich es von mir erwartet hätte.
Am Freitag meiner ersten Woche war dann mein erster Schultag. Ich ging mit Kelaila auf die Spruce Grove Composite High School, eine von vielen High Schools in Spruce Grove. Wir fuhren in einem gelben Schulbus, wie man sie aus all den High School Filmen kennt. Ich hatte meine Fächer vorher schon gewählt, am Mittwoch, an dem auch Frau Kluen-Ernst, die mit uns nach Kanada geflogen war und den Austausch mit organisiert hatte, mich und einen weiteren Austauschschüler an der Schule besuchte um zu sehen, wie wir zurecht kamen. Ich war erst verwundert als mir erklärt wurde, dass ich nur vier Fächer wählen musste. An meiner Schule war es nämlich so, dass man jedes Semester, also Halbjahr, vier Fächer hat, die man sich aussuchen kann. Bis zum Abschluss muss man Bestimmt Kurse belegt haben (3 Semester Mathe, 3 Semester Englisch, 3 Semester Social und eine betsimmte Anzahl an Naturwissenschaften, de ich nicht genau weiß), wann man diese jedoch belegt, ist egal. Außerdem gibt es bestimmt Schwierigkeitsgrade: -1, -2 und -3. Also ein bisschen so wie Gymnasium, Realschule und Hauptschule. Allerdings bot die Schule auch andere Fächer an, sogenannte „Options“. Sowas wie Sportsperformance, Deutsch, Japanisch oder ähnliches. Ich wählte „Sports medicine“, Englisch, Kunst und „Design Studies“.
An meinem ersten Tag war ich noch etwas unsicher. Ich kannte niemanden und war schüchtern, aber bereits nach kurzer Zeit in Kanada bemerkte ich, dass man einfach auf die Menschen zugehen muss und sie meist auch offen und freundlich reagieren. Anfangs verbrachte ich meine Pausen mit Kelaila in der Mensa und es fiel mir etwas schwer Anschluss zu finden. Alles in allem war der Anfang für mich etwas schwierig.
Mit meiner Gastfamilie lief es anfangs auch eher distanziert, aber auch das legte sich mit der Zeit und bald war ich Teil der Familie.
Wir verbrachten ein verlängertes Wochenende in den Rocky Mountains und besuchten sowohl Jasper als auch Banff, zwei National Parks in den Kanadischen Rockies. Und das war einfach überwältigend. Die Berge waren komplett anders als die Berge in den Alpen, es gab riesige, hellblaue Gletscherseen und Wasserfälle, Flüsse und riesige Bäume. Wir campten jede Nacht wo anders, machten Feuer um S’mores zu rösten (Marshmallows in die man ein Stück Schokolade steckt und dann zwischen zwei süße Cracker legt) und Kelaila und ich schliefen in einem Zelt, während der Rest der Familie im Wohnwagen übernachtete. Das war auch eine der Sachen die mir in Alberta, welches doppelt so groß ist wie Deutschland, aufgefallen ist; fast jeder besitzt einen Wohnwagen und so gut wie jeder fährt einen Pick-up Truck (Ich habe in meiner ersten Woche in Kanada gefühlt 100 Mal mehr Trucks gesehen als in meinem ganzen Leben in Deutschland). Wir gingen auch auf einen Skywalk in den Rocky Mountains, wo man auf einer Glasplattform über dem Abgrund steht, was auch ziemlich beeindruckend war. Wir sahen Rehe und Elche und sogar Kojoten. Die Natur in Kanada ist mit der in Deutschland nicht zu vergleichen und allein dafür lohnt es sich dieses Land zu besuchen. Ich hatte mich für das „Adventure Camp“ eingetragen, dass für alle deutschen Austauschschüler gedacht war und konnte somit noch ein langes Wochenende in den Rocky Mountains verbringen. Wir wanderten, kletterten, machten Bogenschießen und saßen um Lagerfeuer über dem wir unser Essen machten oder Marshmallows rösteten. Es war schön, mal wieder bekannte Gesichter zu sehen, da wir uns ja bereits vor dem Austausch in „Vortreffen“ kennengelernt hatten. Ohne Eltern ein Wochenende mit Freunden zu verbringen war definitiv eine schöne Erfahrung.
Mein Alltag in Kanada sah anfangs so aus, dass ich abends hoffte, dass meine Gastmutter uns am nächsten Morgen in die Schule fahren konnte damit wir nicht den frühen Bus nehmen mussten, bevor wir in die Schule gingen. Dann hatte ich am Morgen erst immer 72 Minuten lang „Sports medicine“. Davor jedoch mussten alle Schüler schweigend aufstehen, während „Oh Canada“ -Kanadas Nationalhymne- gespielt wurde. Es war währenddessen verboten zu reden oder sich zu bewegen, was für mich anfangs merkwürdig war. In dieser Klasse fand ich schnell Anschluss und hatte mehrere Freunde, und eine Freundin mit der ich die meiste Zeit etwas unternahm. Der Sports medicine-Unterricht sah so aus, dass wir über den Aufbau des Körpers unterrichtet wurden, also das Skelett und Muskeln, bevor wir zum Schluss auch verschiedene Verletzungen beim Sport, sowie Krankheiten kennenlernten und wie man sie behandelt. Danach hatte ich acht Minuten Pause, bevor wieder 72 Minuten Unterricht war, diesmal Englisch. Ich mochte meine Englischlehrerin, weil sie für ihr Fach brannte und es somit auch Spaß gemacht hat, ihr zuzuhören. Wir lasen „Of Mice and Men“ gemeinsam im Unterricht und fertigten dazu Lesejournals an, bevor wir Satire durchnahmen und dann über Johnny Cash recherchierten. In Kanada schrieben wir eigentlich fast nie mit Hand, nur Outlines mussten wir per Hand anfertigen, den Rest mussten wir im Computer abtippen. Dann war Lunchpause. Entweder, ich traf mich mit Kelaila in der Mensa, ich war im Kunstraum, traf mich mit Nicole (einer Freundin aus Sports medicine) oder anderen, ging zum Essen mit Kelaila aus oder ging zu einer Freundin, die auch mit ihr befreundet war, nach Hause. Als drittes hatte ich Kunst, welches mein einziger Kurs war, den Kelaila und ich zusammen hatten. Kunst war ganz anders als hier in Deutschland. Am Anfang bekamen wir alle eine Tasche mit Utensilien (Wasserfarbe, Zeichenblöcke, Pinsel, Zeichenstifte, usw.), unsere Kunstlehrerin stellte uns jede Stunde circa fünf Minuten lang ein Kunstwerk vor, welche sie dann am Freitag mündlich abfragte und die, die es als erstes wiedererkannten bekamen Süßigkeiten. Sie stellte uns jedes Projekt vor und ging mit uns verschiedene Techniken durch. Ich habe viele Dinge gelernt, von denen ich vorher noch nichts wusste. Nach acht Minuten Pause, in denen ich zu meinem Spind ging um meine Sachen für den letzten Kurs des Tages zu holen, hatte ich „Design Studies“. Mein Lehrer dort war nicht der beste im Erklären und wir arbeiteten viel frei. Aber wir lernten auch Programme wie „Photoshop“ oder „Illustrator“ kennen, mit denen wir Dinge entwerfen oder bearbeiten konnten, wie zum Beispiel ein eigenes Logo oder auch einmal ein kleines Haus. Die letzten 30 Minuten in der Schule nannten sich „Seminar“. Hier konnte man an Projekten arbeiten, bei denen man hinterherhinkte, Tests nachholen oder mit Lehrern reden, wenn man im Unterricht etwas nicht verstanden hat. Dieses Prinzip fand ich eigentlich ziemlich gut. Meistens verbrachte ich „Seminar“ im Kunstraum, manchmal auch mit Freunden. Die einzigen Fächer, in denen wir Tests schrieben, waren Sports medicine und Englisch. Ich muss sagen, die Schule in Kanada ist, verglichen zu dem Gymnasium in Deutschland, wesentlich einfacher. Man lernt etwas langsamer und weniger auf einmal und kann sich besser auf die wenigen Fächer konzentrieren, die man hat, als in Deutschland, wo man jedes Fach nur wenige Stunden pro Woche hat, dafür aber viele verschiedene. Ich ging in Kanada übrigens in die elfte Klasse, obwohl ich in Deutschland in der zehnten gewesen wäre. Das lag daran, dass die Kinder in Kanada etwas früher eingeschult werden, als wir hier. Hausaufgaben hatte ich nie, weil ich Lehrer hatte, die von Hausaufgaben nicht viel hielten. Außerdem waren in der Schule Handys erlaubt, die Schule hatte freies WLAN und Essen sowie Trinken oder Kaugummikauen waren im Unterricht erlaubt. Die High School hatte keinen Pausenhof, welchen ich vermutlich aber auch nicht allzu oft genutzt hätte, da es bereits im Oktober das erste Mal schneite. Dafür hatte es zwei Sporthallen und ein großes Footballfeld sowie einen Tennisplatz. Der Sport, der an der Schule wohl am beliebtesten war, war aber Volleyball. Ich persönlich hätte gerne Basketball gespielt, da ich das auch in Deutschland mache, aber die Try-Outs (bei denen Trainer entscheiden, ob man ins Team kommt oder nicht) waren erst ungefähr zwei Wochen bevor ich wieder nach Deutschland fliegen musste. Deswegen verbrachte ich meine Freizeit anders. Da ich auf dem Land lebte war es schwierig irgendwo hinzugehen, spontan, um sich mit Freunden zu treffen, weswegen auch das eher wegfiel. Aber donnerstags hatte ich, zusammen mit Kelaila, immer Kletterunterricht. Es war wesentlich besser, als ich es mir vorgestellt hatte. In der Halle, in der wir waren, gab es riesige Kletterwände und obwohl ich eigentlich nie ein Fan von Klettern gewesen war, machte es mir ziemlich viel Spaß. An Wochenenden fuhren wir manchmal nach Edmonton, was ungefähr 40 Minuten Autofahrt entfernt lag, um in die Mall zu gehen, was, nachdem Kelaila Ende September ihren Führerschein machte, natürlich einfacher für uns wurde. Manchmal traf ich mich auch mit Freunden, ein paar Mal gingen wir auch abends weg und fuhren einfach herum, trafen uns mit noch mehr Leuten oder aßen Pizza. An ein paar Wochenenden trafen wir uns auch mit Kelailas Familie, also Tante, Onkel und Cousinen. Zwei oder drei Mal babysitteten wir auch ihre zwei kleinen Cousinen, wenn ihre Tante und ihr Onkel mal ausgingen. Familienausflüge machten wir auch ein paar Mal. Einmal gingen wir zu einem Rodeo. Es war ein ziemlich großes Event, bei dem „Cowboys“ auf den Rücken von wildgewordenen Stieren und Pferden saßen oder mit dem Lasso Kälber einfingen. Es war mal ein Erlebnis, aber nichts was ich persönlich nochmal machen würde. An Thanks Giving, welches in Kanada früher ist als in Amerika (Ich glaube es war Mitte Oktober), trafen wir uns mit der ganzen Familie und hatten ein Thanks Giving Dinner. Die Familie ist ziemlich groß, was für Kanada nicht untypisch ist. Die meisten Leute haben drei oder mehr Kinder und viele auch noch Tiere. Es fühlte sich merkwürdig an, in einer Familie zu sein und nicht wirklich dazuzugehören, doch sie nahmen mich ziemlich gut auf. Freitagabends gingen wir oft zu „Youth“-Treffen, wo die Kirche, der meine Gastfamilie angehörte, wöchentlich irgendein Event plante, an dem man teilnehmen konnte. Hier hatte ich auch ein paar Freunde, ohne die es vermutlich eher langweilig für mich gewesen wäre. Anfangs war es auch noch so, doch nach ein paar Malen fühlte ich mich ziemlich wohl. Einmal veranstalteten wir ein Kochduell, ein anderes Mal machten wir Pancakes. Für ein paar Tage kam auch Kelailas Oma aus Vancouver zu Besuch, die ursprünglich Schweizerin ist, mit der ich dann auch mal Deutsch redete.
Meine Gastfamilie war ziemlich gläubig, weswegen wir jeden Sonntag, an dem nichts dazwischen kam, in die Kirche gingen. Das war ich von zu Hause nicht gewohnt. Und Gottesdienste sind dort komplett anders als in Deutschland. Die Kirche ist ein mehr oder weniger modernes Gebäude, das, abgesehen von dem riesigen Kreuz auf dem Dach, nicht nach einer Kirche aussieht. Es gibt einen Raum für Gottesdienste, Gemeinschaftsräume, Büros, eine Küche und sogar eine Sporthalle in dem Gebäude. Im Gottesdienst werden Projektoren für das Werfen auf eine Leinwand von Liedtexten benutzt. Die Pastoren (im Prinzip die Pfarrer) redeten nicht einfach nur, sie riefen manchmal, bewegten sich auf der Bühne hin und her und erzählten so überzeugt davon, dass Jesus der einzig richtige Weg ist, als wollten sie mir einen Fernseher verkaufen. Für mich wirkte es fast schon fanatisch, wie sie all ihre Kraft darin steckten, der Gemeinde davon zu erzählen, dass Jesus vor allem und jedem steht und man ihm folgen muss und dafür auch alles hinter sich lassen kann. Um ehrlich zu sein gefiel mir das nicht. Da waren Väter von drei Kindern die wie in Trance nickten wenn der Pastor sagte, dass man Jesus mehr lieben sollte, als jeden sonst. Aber jedem das seine.
Ich fühlte mich zum Schluss so wohl in meiner Gastfamilie und hatte mich so gut eingelebt, dass ich eigentlich noch nicht nach Hause wollte. Aber der Tag der Abreise kam schneller, als gedacht und bald musste ich mich auch schon von meiner Gastfamilie verabschieden. Ich war traurig, dass ich gehen musste, freute mich aber auch darauf, meine Familie und Freunde in Deutschland wieder zu sehen. Ich flog mit den anderen Austauschschülern samstags los und kam Sonntagmorgens an. Dieser Flug verpasste mir einen viel schlimmeren Jetlag als der Hinflug und auch vier Tage später hatte ich ihn noch nicht ganz überwunden.
Alles in allem habe ich meine Zeit in Kanada sehr genossen. Es war wunderschön und ich würde es jederzeit wieder machen. Allerdings fand ich drei Monate etwas zu kurz und hätte gerne verlängert, da man, bis man sich wirklich eingelebt hat, die Hälfte der Zeit schon hinter sich gebracht hat. Mit dem Englischsprechen hatte ich überhaupt keine Probleme. Ich glaube (und hoffe) dass diese drei Monate mein Englisch auch noch verbessert haben. Es war eine tolle Erfahrung mal das Leben in einem anderen Land und auch einem komplett anderen Schulsystem kennenzulernen, sowie sich in eine andere Familie einzufinden. Ich kann es nur jedem empfehlen an einem Austausch teilzunehmen.