„Nicht was, sondern wer will ich werden?“

Quelle: Gelnhäuser Tageblatt vom 13.9.2016

POETRY SLAM „Wortspieler“ jonglieren im GGG-Keller mit Lyrik

GELNHAUSEN (jkm). Das Spiel mit den Wörtern, eine Verzahnung von lyrischen Elementen und ein kritischer Blick auf gesellschaftliche Themen: Davon lebt Poetry Slam. Für einen Vortrag der etwas anderen Art konnte das  Grimmelshausen Gymnasium Gelnhausen zwei bekannte „Wortspieler“ gewinnen, die gestern im Kulturkeller der Schule auftraten.
„Die Schülerinnen und Schüler sollen einen etwas anderen Blick auf Lyrik bekommen“, berichtet die Fachsprecherin für Deutsch, Sabrina Becker, die für die Organisation zuständig war: „Es geht darum Grenzen abzubauen und zu überwinden und die Angst vor der Poesie zu nehmen.“
Dies geschehe auch durch die Interaktion mit dem Publikum, von der Poetry Slam lebe, wie Bas Böttcher und Samuel Kramer bewiesen, die extra für ihren Auftritt am Grimmels ein eigenes Programm zusammengestellt hatten. „Ich bin für euch um halb vier in Berlin aufgestanden“, eröffnet Böttcher: „Wenn also was schiefgeht, schiebe ich es auf mein frühes Aufstehen“, lacht er. Böttcher ist einer der Mitbegründer der deutschsprachigen „Spoken- Word-Szene“.
Seine Texte gelten als Klassiker der zeitgenössischen Bühnenlyrik. So finden sich seine Texte in vielen großen Gedichtbänden wieder. Neben Tourneen durch deutsche Literaturhäuser, trat er unter anderem in San Francisco oder Peking auf und wurde bereits als „Pop-Poetry-Pionier“ betitelt. Dabei findet er Inspiration in vielen Dingen des Lebens: „Zum Beispiel, als ich heute Morgen am Bahngleis stand, las ich auf der Anzeigentafel das Wort „Beach“. Ich dachte mir: In den Zug sollte ich einsteigen. Dabei war es nur der Anfang einer Laufschrift, dass ich etwas beachten solle.“ Böttcher ist der Sieger der ersten deutschen Meisterschaft und steht seit vielen Jahren auf der Bühne. Er beeindruckt mit Wortspielen und jener genannten Verzahnung, die den Laien zunächst bewundernd zurücklässt. Ein so in zwei Minuten vorgetragenes Stück ist ein Vielfaches an Arbeit, erfordert eine große Menge Inspiration aber auch das richtige Geschehnis am richtigen Ort. Schon beim Wort „Mensch“ zeigt er die Diskrepanz, die er in einem Wort sieht: „Mensch ist in vielem enthalten, auch in zusammenschlagen, aber gesprochen auch im Wort Blumenstrauß.“ Böttcher hielt auch eine Lobrede auf den „Fehler“: „Fehler sind besonders wichtig. Vor allem in der Schule. Durch sie lernt man vieles. Die Schule ist auch der einzige Ort, wo Fehler weitestgehend ohne Konsequenzen sind. Es stürzt kein Haus ein, wenn man sich verrechnet.“
Mit seinen kurzen Auftritten wechselte sich Böttcher mit Samuel Kramer ab. Der Dichter, Slampoet und Künstler schreibt seit seiner frühen Jugendzeit. Unter dem Künstlernamen „teilversuch“ publiziert er auch online seine Gedanken und Texte. Mit diesen und seiner ganz eigenen Art des Vortrags wurde er 2013 U20-Hessenmeister und holte sich in diesem Jahr den Titel bei den „Senioren“. Somit ist er amtierender hessischer Meister, was die Ansprüche hoch setzte, welche aber von Kramer in vollem Umfang erfüllt wurden. „Als ich damals Abitur machte, sollte ich die Abschlussrede halten, weil mir gesagt wurde, ich mache da doch irgendwas mit Worten. Eigentlich hatte ich keine Lust darauf, aber dann verfasste ich dazu ein Gedicht.“ Dies könne er immer noch auswendig, auch „wenn mein Abitur gefühlt ewig her ist.“ Kramer geht dort kritisch mit dem „richtigen Weg“ um, der einem nach dem Schulabschluss propagiert wird: „Nicht was, sondern wer will ich werden. Bewaffnet mit Zuversicht, setze ich den ersten Schritt. In den Sand.“