Mit diesen mahnenden Worten des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker eröffnete Landrat Thorsten Stolz am Donnerstag, dem 16.01.2025, vor Schülerinnen und Schülern des Grimmelshausen-Gymnasiums in Begleitung von Christine Bischoff und Andrea Diallo die Ausstellung „Es gibt hier keine Kinder“ mit rund 80 Reproduktionen von Zeichnungen des Holocaustüberlebenden Thomas Geve im Main-Kinzig-Forum in Gelnhausen. Den Anstoß, die Wanderausstellung der Stiftung Gedenkstätte Buchenwald nach Gelnhausen zu holen, hatte Werner Fromm aus Langenselbold gegeben, dessen Großvater als Gewerkschafter und Kommunist von 1938-1945 ebenfalls in Buchenwald interniert war und der sich schon länger für eine „aktive Erinnerungskultur“ einsetzt.
Das Besondere an dieser Ausstellung: Es ist der Blick eines Jungen auf den Holocaust. Die Zeichnungen des damals 15-jährigen Thomas Geve dokumentieren auf beeindruckende und beklemmende Weise seine Aufenthalte in den Konzentrationslagern Birkenau, Auschwitz, Groß-Rosen und Buchenwald. Detailliert werden die grausamen Bedingungen des Lagerlebens mit Blei- und Buntstiften auf kleinformatigen Zetteln geschildert. Die Ankunft an der Rampe mit 13 Jahren, die Selektion, die Desinfektion und das Eintätowieren der Häftlingsnummer, das karge Essen, die schwere Zwangsarbeit, Hunger und Krankheit, das Lagerleben, Schikanen, die Gaskammer sowie die Pläne der verschiedenen Lager, in denen Geve interniert war, alles hielt der Jugendliche mit äußerster Genauigkeit fest. In der Ausstellung werden die Bilder mit kurzen, erklärenden Texten ergänzt.
Erschütternd ist auch die Erinnerung an die vergangene Schulzeit, die sich im Auschwitz-ABC widerspiegelt. Laut Geve fing es „mit Appell, Block und Capo an und hört mit Vorarbeiter, Waschraum und Zaun auf. Für mich in der blauweiß gestreiften Häftlingstracht waren diese Worte für 22 Monate mein Leben – in Birkenau, Auschwitz I, Groß-Rosen und in Buchenwald. Ich war immer alleine im Lager, ohne Verwandte, mit wenig Freunden, die dann, einer nach dem anderen, in das Ungewisse verschwanden.“
Hatte Geve bereits in Auschwitz kleine Skizzen gefertigt und in seinem Strohsack versteckt, entstand der Großteil der Zeichnungen kurz nach seiner Befreiung aus dem KZ Buchenwald 1945. Bedingt durch seinen miserablen Gesundheitszustand, musste der Jugendliche zunächst im Lager verbleiben und nutzte die Zeit für die zeichnerische Dokumentation und Verarbeitung des erlebten, alltäglichen Grauens. Gedacht waren diese Zeichnungen ursprünglich als Bericht für seinen Vater, dem die Flucht nach Großbritannien gelungen war. Daher nahm der Junge die Zeichnungen mit, als er zur Erholung in ein Kinderheim in die Schweiz gebracht wurde. Schließich gelangten die Bilder nach Israel und landeten im Museum von Yad Vashem. Ein Glücksfall für die Historiker, denn der kindliche bzw. jugendliche Blick auf historische Ereignisse wird selten überliefert. So sind diese Zeichnungen zwar weniger bekannt, aber genau so bedeutsam wie die berühmten Tagebücher der Anne Frank. Gerade in diesen Einzelschicksalen wird die ganze menschenverachtende Brutalität des Holocaust wie in einem Brennglas sichtbar.
Und genau dies ist auch der Ansatz des Schulprojekts „Facts not fiction,“ das sich unter der Leitung von Christine Bischoff und Lukas Walz am Grimmelshausen-Gymnasium gebildet hat und sich mit dem Leben der Gelnhäuser Jüdin Lotte Sondheimer beschäftigt, die 1942 mit nur 35 Jahren im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde. Die Schüler der Projektgruppe zeigten sich daher von dieser Ausstellung besonders beeindruckt und sahen sich in ihren eigenen Nachforschungen bestärkt. Auch sie wollen die Augen nicht vor der Vergangenheit verschließen und neue, unbekannte Fakten herausfinden. Zusätzliche Unterstützung erhält die Projektgruppe dabei von der Leiterin des Zentrums für Regionalgeschichte, Christine Raedler, und den „Arolsen Archives,“ einem internationalen Archiv über Opfer und Überlebende des Holocaust. Ziel ist die Erarbeitung einer faktenbasierten „Graphic Novel“ über das Leben von Lotte Sondheimer, ein Projekt, das von der Europäischen Union gefördert wird.
Die Wanderausstellung der Stiftung Gedenkstätte Buchenwald mit den Kinderzeichnungen von Thomas Geve ist noch bis Ende Januar während der Öffnungszeiten des Landratsamtes zu sehen.
Yvonne Opalla, E1F1